WG136 – Briefentwurf an Alma Mahler
Berlin, zwischen Freitag, 19. Mai und Donnerstag, 1. Juni 1911, wahrscheinlich 19. Mai oder kurz danach
Namenlos hast Du gelitten
und Dein Herz muß er-
starrt sein von Jammer.
Wie kann ich Dir helfen
Dir irgendeine Liebe antun?
Ich bin \immer/ bei Dir alle
Stunden des Tags
Ich trauere mit
aufrichtigstem Herzen nach
als Menschen, da ich ihn als
Künstler \## ihn/ noch zu wenig kannte
aber als Mensch trat er mir
so edel entgegen, daß das
Gedenken an jene Stun-
den nie verlöschbar ist.
An ihm \selbst/ konnte ich zu
meinem Schmerze nicht
mehr abtragen, was ich ihm
schuldig war, vielleicht
später noch an denen
die er lieb hatte.
Zum 2ten mal hast
Du nun das ganz große
Leid erfahren, das ein
Stück des Herzens un-
wiederbringlich und
uns immer fortreißt.
______________
Jenen Gedanken
bewahre ich wie ein
Vermächtnis von ihm
und es ist mein Friede
\u Glück/ daß ich mit mir so ganz
im Klaren bin ohne Wanken.
_________________
Wie schmerzlich ist es, Dich
so leiden zu wissen.
Glaube an mich! Es
wird Dir Deine Schmerzen
lindern.
Über Deinen Zustand
sorge ich mich grenzenlos
Meine Worte sind
so arm und scheinen
mir blaß u hart
gegen das, was ich
fühle
Ich knie vor Dir
als vor dem heiligsten
Gut, das ich verehre
Ich freue mich, daß
Du ich in München war,
wie hast Du überhaupt
alles so richtig vorausgeahnt
Du kannst an Dich glauben,
tue es, mein Schatz!
So Du – und was
habe ich an verloren!
Dein Herz muss kalt
u stumm u abgestorben
sein bei dem Leid
\rechne auf mich/
Apparat
Überlieferung
, , , , , .
Quellenbeschreibung
3 Bl. (3 b. S.) – Notizblock.
Druck
, S. 111, bei Anm. 141 (kurzer Auszug).
Korrespondenzstellen
Beantwortet durch AM68 vom 3. Juni 1911 (Du hast es begriffen – ich habe unendlich viel verloren): Zum 2ten mal hast Du nun das ganz große Leid erfahren, das ein Stück des Herzens unwiederbringlich […] immer fortreißt.
Datierung
„undatiert, vermutlich gegen Ende Mai 1911“ (, S. 448, Anm. 141).
Wie auch bei den folgenden Entwürfen (WG137, WG138 und WG139) ist eine genauere Datierung nur schwer möglich. Inhaltlich thematisiert dieser Entwurf den Tod , der am 18. Mai 1911 kurz vor Mitternacht starb (s. AM64; vgl. ). Wie WG vom Tod erfuhr, bleibt im Unklaren, jedoch konnte er frühestens am 19. Mai davon erfahren haben. Ein Telegramm über die Nachricht von AM oder vielleicht sogar ist nicht erhalten. Höchstwahrscheinlich las er die Nachricht zuerst in der Presse. AM ging nach dem Tod ihres in ein Sanatorium auf dem Semmering, von wo sie auch am 31. Mai ihre erste Nachricht nach dem tragischen Ereignis an WG schickte, die am 1. Juni bei WG ankam (s. AM67). Als Datierung wird daher der Zeitraum zwischen dem 19. Mai und dem 1. Juni 1911 angenommen.
Übertragung/Mitarbeit
(Fabian Müller)